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Wir besuchen heute zwei Städte und einige wichtige Bauhauswerke. Gleichzeitig wird klar, dass die Philosophie der Bauhausarchitekten und -künstler auch eine Strahlkraft auf Andere ausübte. Sie bauten und konstruierten ähnlich oder besser unter dem Einfluss dessen, was das Bauhaus nach draußen trug.
Gera – Zwischen Schätzen und Vorurteilen
Gera liegt im Osten Thüringens. Zur sächsischen Landesgrenze ist es nicht weit. Geras Image von der sozialistischen Musterstadt hält sich hartnäckig. Es erscheint nur zu logisch, wenn man ins neue Zentrum der Stadt kommt und manifestiert sich im Abriss von Teilen der westlichen Innenstadt zur Errichtung von Wohnhochhäusern und Verwaltungsbauten zu DDR-Zeiten. Gut, dass nicht alles platt gemacht wurde und sich beim zweiten Blick interessante Dinge und Bauwerke finden lassen. Die drittgrößte Stadt Thüringens schaut immerhin auf eine 1000 jährige Geschichte zurück. Die Visitenkarte mag abschrecken, doch davon darf man sich nicht zu sehr beeindrucken lassen. Gera war um die Wende zum 20. Jahrhundert geprägt von wachsender Textilindustrie und gehörte, gemessen an der Größe, zu den wohlhabendsten Städte in Deutschland. Dies führt zu einer der “Pflichtstationen”, wenn man sich im Umfeld von Architektur bewegt.
Haus Schulenburg – Heute “Henry van de Velde Museum”
Wir gehen in der Zeitleiste rund 100 Jahre zurück und stoppen zuerst am „Haus Schulenburg“. Heute beherbergt die großzügige Villa das „Henry van de Velde Museum“.
Flashback
Henry van de Velde – Künstler, Architekt des ersten Bauhausgebäudes in Weimar, Vertreter der Weimarer Moderne um die Wende zum 20. Jahrhundert.
Er wurde vom Geraer Textilfabrikanten Paul Schulenburg beauftragt ein Landhaus zu bauen. Das “Haus Schulenburg” wirft nicht nur ein Schlaglicht auf den Reichtum Schulenburgs, es zeigt in schönster Form die Entwicklung dessen architektonischer Philosophie im Vorfeld des Bauhauses, im Spannungsfeld zwischen Jugendstil und Moderne.
Die Geschichte des Gebäudes führte zum Zustand des Gebäudes in der Mitte der 1990er Jahre. Sie wird einem während der angebotenen Führung nahe gebracht. (Podcast) – Das Haus spiegelt damit auch die wechselhafte Geschichte Geras im 20. Jahrhundert wieder. Aus der Villa wurde der Familiensitz von zwei Schulenburg-Söhnen. Nach dem Krieg folgten Enteignung der “strammen” Nazis, Sitz der amerikanischen, später der sowjetischen Militärverwaltung, Schule für Pflegekräfte in der DDR und Leerstand ab 1990. Als sie von einem Ärzteehepaar aus Magdeburg 1997 gekauft wurde, waren große Teile des Hauses einsturzgefährdet. Mehrere Jahre hat es gedauert, bis der Originalzustand wieder hergestellt war. Heute gibt es dort wirklich viel zu sehen: Von der Geschichte des genialen Künstlers van de Velde bis zur Verbindung in Richtung Moderne und Bauhaus. Noch bis Ende Oktober werden, zum Beispiel, 100 Bauhausexponate aus privaten Sammlungen gezeigt. – Sehenswert!
Moderne in Gera – Industrie- und Wohnarchitektur
Tilo Schoder ist der Architekt, der in Gera viel gebaut hat. Die Palette reicht von Fabrikgebäuden über Wohnhäuser bis zu Kliniken. Sein Vermächtnis ist unübersehbar. Thilo Schoder war ein Pionier des “Neuen Bauens”, hatte engen Kontakt mit den Bauhausleuten, was sich in vielen Stilelementen niedergeschlagen hat. Insbesondere die ehemalige “Frauenklinik Dr. Schäfer” wird da gerne als Bespiel in Gera gezeigt. Flachdach, Fensterelemente, Treppenhausgestaltung sind typisch Bauhaus. Zum Bauhaus selber zählte er sich aber nicht. Er war Schüler von Henry van de Velde, hatte damit aber intensiven Kontakt zu Bauhausarchitekten. Sein Fleiß ist ein Grund, dass Gera zurecht behauptet, in Weimar und Dessau sei geplant und in Gera gebaut worden.
Eine “Architektour” kann man allen Besuchern nur warm ans Herz legen. Karin Schumann, von der “Gera-Information” erzählt im Podcast was geht und wie man sich die Touren zugänglich macht.
Ist in Gera das „Einfach mal hingehen und Ansehen“- Bedürfnis schon schwierig, so wird es in Jena bei den Prunkstücken der Bauhaus-Architektur noch etwas komplizierter. Das Stichwort heißt Privatbesitz.
Jena und die Gropius-Häuser: Haus Auerbach & Haus Zuckerkandl
Eine knappe Stunde “westwärts” liegt Jena, eine Stadt geprägt von Forschung und Wissenschaft. Einheimische reden auch gern vom “Optical Valley” Deutschlands. In der Tat hat das Dreigestirn “Abbe, Schott, Zeiss” diesen Ruf schon im frühen 20. Jahrhundert begründet. Die durchaus gut betuchten Forscher und Wissenschaftler sorgten zudem für eine bestechende Kunst- und Kulturszene. Selbst bei den Bauhauskünstlern sprach sich schnell herum, dass unter finanziellem Aspekt eine Ausstellung in Jena in den 1920er-Jahren sehr viel lukrativer sein konnte, als das Ausstellen von Werken in den Galerien von Berlin oder München. Die Jenaer hatten nicht nur ein modernes kulturelles Bewusstsein, sondern verfügten auch über reichlich Engagement und Geld dieses auszuleben.
Die Begegnung mit dem “Haus Auerbach” und Dr, Barbara Happe
Etwas weg vom Stadtzentrum an einem Hügel stehen im Jenaer Westviertel zwei ikonische Bauhausgebäude. Beide geplant und gebaut von Walter Gropius. Station Nummer 1 ist das „Haus-Auerbach“.
Es gehört heute dem Ehepaar Dr. Barbara Happe und Prof. Dr. Martin S. Fischer. Beide kamen erst nach der Wende an die Hochschule nach Jena. 1994 kauften sie das Haus und restaurierten es. Das Gebäude war damals in einem jämmerlichen Zustand. Lediglich die Raumstruktur war noch im ursprünglichen Zustand. Eine einjährige Renovierung war nötig. Dabei entdeckten die Beiden sehr viele Details, die sie originalgetreu wieder herstellten. Eine Bau-Ikone war gerettet und dient Barbara Happe und Martin Fischer seitdem als Wohnhaus. – Seit der Fertigstellung stehen immer wieder Menschen vor dem Haus. Aber “wir sind kein Museum und wollen das Haus für uns haben”, sagt Barbara Happe, die für eine kleine Pressegruppe die Tür geöffnet hat. Sie berichtet im Podcast von UNI-Seminaren, die sie gibt und davon dass sie und ihr Mann bereit sind im Jahr 2019 Kompromisse zu machen. “Zum Jubiläum ‘Bauhaus 100’ war das absehbar”, sagt sie, bittet uns herein und erzählt von der Geschichte des Hauses und ihrer Bewohner, aber auch von der unterschiedlichen Rezeption des Bauhauses und des Hauses-Auerbach, das inzwischen seit 24 Jahren ihr Zuhause ist.
Es ist eine Lehrstunde in Sachen Bauhaus, gegeben von Barbara Happe, Kulturwissenschaftlerin und Lehrbeauftragte am Seminar für Volkskunde und Kulturgeschichte der Friedrich Schiller Universität Jena. – Die Erbauer, das jüdische Ehepaar Auerbach, erzählt sie noch, wählten 1933 den Freitod. In den Jahren danach wechselten die Eigentümer mehrfach bis zum Beinahe-Verfall zum Ende der DDR.
Ein Kernsatz während unseres Gesprächs hat mich beeindruckt und mir eine neue, weitere, Sichtweise auf das Jubiläum 100 Jahre Bauhaus vermittelt. Barbara Happe sagt:
Bauhaus ist kein Stil, Bauhaus ist eine Haltung!
Tipp:
Einfach hinlaufen und klingeln ist zwecklos. Das Ehepaar Fischer / Happe legt Wert auf seine Privatsphäre. – Wer detaillierte Eindrücke erhaschen möchte, möge doch bitte auf die Haus-Website gehen. Dort bekommt man einen sehr lebendigen und nahen Eindruck, was Bauhaus-Architektur leisten kann.
Größer, mächtiger ist das “Haus Zuckerkandl”, das einige Straßen weiter oben am Hang über Jena steht. Beide Häuser wurden von Walter Gropius entworfen. Als Familienvilla geplant, ist es jeweils noch eine Etage höher. Es hat eine ähnliche Baugeschichte und auch das menschliche Schicksal der ursprünglichen Besitzer ist vergleichbar. (Podcast)
Bauhaus-Kreationen öffentlicher Gebäude in Jena
In Laufweite befindet sich die Friedrich Schiller Universität Jena. Dort befindet sich ein weiterer Pflichtstopp für alle Bauhausinteressierten. Der Verein der Jenaer Studentenhilfe gab 1928 einen Mensa-Neubau in Auftrag. Zeitgleich sollte ein Gebäude für die mathematische Fakultät entstehen. Für die Realisierung ist u.a. einer der ersten Bauhaus-Schüler Ernst Neufert verantwortlich. Neufert hatte zwar den Umzug nach Dessau mitvollzogen, kehrte aber einige Jahre später als Professor an die Nachfolgestätte des Bauhauses in Weimar zurück. Seine Ausbildung hatte ihn aber geprägt und man kann ihn ohne zu zögern einen “Bauhäusler” nennen.
Das Wissenschaftsgebäude “Abbeanum” wurde 1930 fertiggestellt. Es ist ein einfach aussehendes, aber funktional sehr raffiniertes Gebäude, das noch heute voll in den Lehrbetreib integriert ist. Der Name entstand zum Gedenken an Ernst Abbe aus dem Dreigestirn der Jenaer Optik: Abbe, Schott und Zeiss. Außen wie innen kann es immer noch mit sicher moderneren Lehrgebäuden mithalten.
Dieses Innere des “Abbeanum” diente und dient den Bereichen Mikroskopie und angewandte Optik sowie dem Bereich der angewandten Mathematik. Auch dieses Haus ist, wie die schräg gegenüberliegende Mensa, komplett restauriert worden und fest in den Universitätsbetrieb integriert.
Jena und die “Moderne”
Der Weg durch Jena geht weiter und wieder bergab gen Innenstadt. Es gibt auch weiter unten noch einige Bauwerke, die teilweise Bauhaus sind, teilweise der Kategorie Modernes Bauen, mit Bauhaus-Anleihen zuzuordnen wären. Zu erwähnen ist das ehemalige “Zeiss”-Verwaltungsgebäude, das heute u.a. das Einkaufszentrum “Goethe-Galerie” beinhaltet.
Insbesondere aber das Theaterhaus spielte in der Geschichte der Bauhausaktivitäten noch eine wichtige Rolle. Dessen wechselvolle Geschichte, lässt man sich am besten bei einer Stadtführung erklären, denn hier sorgte nicht nur der der Gropius – Anbau in den 1920er Jahren für Aufsehen.
Es war sein erstes öffentliches Gebäude, in dem das Bauhaustheater auch einige Experimente aufführte. Das wäre eine weitere spannende und lange Geschichte.
Jena erkunden
Jena kommt als gute Symbiose aus alter und neuer Stadtgeschichte mit sehr viel Atmosphäre rüber. Selbst wer nicht in Sachen Bauhaus hierher kommt, findet viel Attraktives zum Ansehen, Erfahren, Wohlfühlen und Genießen. Es ist eine Stadt mit viel Kultur, in die sich die einhundertjährige Bauhaus-Geschichte inzwischen ganz selbstverständlich einfügt. Ein guter Abschluss, auch wenn es noch so viel mehr zu sehen gibt.
Information:
Thüringen-Tourismus und Bauhaus
Hinweis:
Die Recherche zu diesem Reiseradio-Podcast wurde unterstützt von Thüringen-Tourismus. Diese Unterstützung hat keinen Einfluss auf eine unabhängige Berichterstattung.
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