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Bilanz & Hoffnung
Auch wenn es noch keine offiziellen Zahlen gibt, steht fest, dass das krisengeschüttelte Urlaubsjahr 2016 die Reisekonzerne Geld gekostet hat. Zudem war Krisenmanagement gefragt und die „Umroutung“ von Urlaubern in andere Zielgebiete. Kein leichtes Unterfangen, das sich auch auf die Bilanzen niedergeschlagen hat. Umso gespannter durfte man sein, wie sich die Reiseindustrie auf die mögliche Fortsetzung der Buchungsflauten in Richtung Türkei, Ägypten und Nordafrika eingestellt hat. Welche Akzente werden gesetzt für den Reisesommer 2017? Welche Zielgebiete und welche Innovationen warten auf den Kunden im nächsten Jahr?
Wir haben mit Stefanie Berk, Mitglied der Geschäftsführung der Thomas Cook GmbH und Vorsitzende der Geschäftsführung der Thomas Cook Touristik GmbH, während der Vorstellung der Sommerkataloge in Vilamoura an der Algarve in Portugal gesprochen. Vom Krisenmanagement über die Qualitätssicherung bis zu Sommerzielen und Preisen gab sie uns Auskunft.
Das Interview:
Krisenmanagement
Die Veranstalter, so auch Thomas Cook und Neckermann, waren gefordert im Jahr 2016. Trotzdem ist man, durch clevere Planung, mit einem blauen Auge davon gekommen. Ein Minus wird wohl trotzdem unterm Strich übrig bleiben.
Qualitätsmanagement
Einhaltung von Service- und Unterkunftsqualität sind das A und O der Branche. Im Hause Thomas Cook hat man das mit dem neuen 24 Stunden-Beschwerdeservice als Pilotprojekt wohl erfolgreich umgesetzt und deshalb beschlossen, das „Service-Versprechen“ künftig flächendeckend auf alle Hotels der Edelmarke „Signature“ anzuwenden. Das Veranstalter-Versprechen im Klartext: „Wir lösen Kundenbeschwerden durch die örtliche Reiseleitung innerhalb von 24 Stunden“. Ein ehrgeiziges Unterfangen, das dem anspruchsvollen Gast entgegenkommen dürfte.
Sommer-Ziele
Natürlich hält man bei Neckermann und Thomas Cook am Produkt Türkei fest. Parallel wurde aber ein Ergänzungsprogramm gebastelt, das sich eindeutig in Richtung westliches Mittelmeer orientiert. „Alte“ traditionelle Ziele werden reaktiviert und mit höheren Kapazitäten angeboten. So kommen plötzlich die italienische Adria, Kroatien, Bulgarien und auch die portugiesische Algarve wieder zu Ehren und erhalten Werbebedeutung. – So wird es im Sommer 2017 ein verstärktes Flugangebot nach Rimini an der Adria geben. Man setzt dabei auf sechs wöchentliche Verbindungen mit „Air Berlin“. In Kroatien wird es jeweils ein neues „Sentido“- und ein „Smartline“-Hotel sowie weitere Flugpauschalreisen mit Ziel Dubrovnik geben. In Bulgarien warten neue preisgünstige Konzepthotels, die Flugangebote nach Griechenland und Zypern sollen ausgebaut werden.
Neu im Angebot wird der Süden Siziliens sein. Mit einer Charterkette der „Condor“ bedient man jeweils am Dienstag von Düsseldorf und Frankfurt aus u.a. ein neues „Sentido“-Hotel in Marina di Ragusa. Angeflogen wird dabei der ehemalige Militärflughafen in Comiso, der nur 20 Minuten Fahrzeit von den Hotels entfernt liegt. Insbesondere Gäste von Neckermann-Reisen kommen in den Genuss dieses Angebots.
Für den Massentourismus will man auch eine schöne und (noch) stille Insel im Windschatten von Madeira erschließen. 8 Hotels auf der kleinen Strandinsel Porto Santo im Atlantik sollen die Urlauber anlocken. Musste man dorthin bisher umständlich über Madeira, mit anschließender Fährüberfahrt, anreisen, so erledigt das im nächsten Sommer die „Condor“ mit Nonstop-Flügen.
Neue eigene Hotels
Die immer besser angenommenen Konzepthotels werden zahlenmäßig ausgebaut. Voran die Marke „Sentido“, mit neuen Anlagen in Sizilien, Kroatien, Bulgarien und in der Türkei. Ein neues „Sunprime“-Hotel wartet in Spanien. Das jüngste Kind, die Lifestyle-Marke „Casa Cook“ wartet nach dem erfolgreichen Start auf Rhodos im nächsten Sommer mit einer Neueröffnung auf der Insel Kos auf. Stolz ist man auf alle 6 Marken, die bei Holidaycheck immerhin eine Weiterempfehlungsrate von rund 90 Prozent erreicht haben. Immerhin warten im nächsten Jahr 181 Thomas Cook Hotels in 16 Ländern auf Gäste.
Preise
in finanzieller Hinsicht bietet sich ein eher uneinheitliches Bild. Zu verdanken hat man das dem Krisensommer 2016. Die Faustregel heißt ganz schlicht: Das, was im letzten Sommer gut lief, wird teurer. Die Sorgenkinder der Branche sollen mit Preisnachlässen wieder mehr Kundschaft anlocken. Mallorca, Bulgarien und Griechenland werden rund 4% teurer, die Kanarischen Inseln werden wohl bis zu 7% im Preis steigen. Dafür sinken die Buchungskosten in der Türkei um 8%. Auf der Fernstrecke wird hauptsächlich Kuba (+6%) teurer. Bis Ende März soll es zudem Frühbucherpreise geben, die punktuell bis zu 40% Nachlass gewähren sollen.
Information:
„Westwärts mit dem Wind“ – DRR-Kommentar von Rüdiger Edelmann
Lee Marvin und Clint Eastwood zogen im gleichnamigen Western-Musical einst „Westwärts mit dem Wind“. Die Reisemultis werden es in der nächsten Saison ebenso machen. Es gibt aber mehrere Unterschiede. Die Westernhelden zogen ins Ungewisse, unsere Reiseunternehmen ziehen eher auf die vermeintlich sicherere Seite. Befürchtet man doch insgeheim, dass das Wunden lecken in der Türkei noch nicht beendet sein wird. Dem will man vorbeugen.
Die alten, neuen Ziele freut es, standen sie doch in den letzten Jahren eher im Schatten. Da wird wohl in den nächsten Monaten am Teutonengrill in Rimini, an der Algarve, in Kroatien oder in Bulgarien der eine oder andere Investitionsstau in Angriff genommen werden. Was der Türken Leid ist wird so schnell zur Hoffnungsperspektive von Italienern, Portugiesen oder Bulgaren. Wie aber wird es perspektivisch wirklich weitergehen?
Ist der Trend gen Westen, aus der Not geboren, nur ein Strohfeuer? – Man weiß es nicht, aber nach den herben Verlusten in diesem Jahr will man auf Nummer sicher gehen. Klar braucht man Alternativen zu Balearen und Kanaren, denn noch einen Ansturm dieser Größenordnung wird zum Beispiel Mallorca nicht mehr vertragen. Schon in diesem Jahr leerten sich die Stauseen und damit der Wasservorrat der Insel weit über das Verkraftbare. Tomatenfelder vertrockneten, weil die Touris duschten. Diese Perspektive kann sich niemand wünschen, denn sie gefährdet den sozialen Frieden in den Urlaubsgebieten.
Gleichzeitig stürmt man kleine unscheinbare Inselchen wie Porto Santo. Elf Kilometer Länge, 6 Kilometer Breite und 42 Quadratkilometer Größe werden auf geschätzte 2 Millionen zusätzliche Urlauber treffen. Ja, der Tourismus ist einer der Hauptwirtschaftsfaktoren von Porto Santo, was aber wird bleiben, wenn die Karawane irgendwann weiterzieht? Ob westwärts oder ostwärts spielt dann keine Rolle mehr. Den Hoffenden wird es nichts nutzen, wenn sie investiert haben und die Veranstalter das nächste Ziel (zurück-)erobern, weil der Wind wieder einmal gedreht hat.
Fotos:
Rüdiger Edelmann, ttb-media TON-TEXT-BILD & Thomas Cook AG
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