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Schöne heile Urlaubswelt?
Diesmal sind wir etwas später dran. Der Grund wird zum Thema. Deutschlands östlichste Insel war uns einen Besuch wert. Einfach ein paar Tage ausspannen, das Herbstwetter, das eigentlich in den Sommer gehörte tat sein Übriges. Ein Rundum Sorglos Paket sollte es werden. Gebucht im August. Und dann gab es eineinhalb Wochen vor der Abreise die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Dann folgten Fragen, die wir zu beantworten versuchen.
Hier geht es zum kompletten Usedom-Report:
Hatte sich Deutschland schon an gute AFD-Wahlergebnisse in anderen Regionen gewöhnen müssen, so erreichte in MV die politische Stimmung ihren Tiefpunkt. Zweitstärkste Fraktion mit 20,8 Prozent der Stimmen, CDU abgehängt. Alle Parteien verlieren um die 5 Prozent. Blieb nur das Trostpflaster, dass es die NPD nicht auch noch in den Landtag geschafft hatte. Was die Wahlergebnisse unseres Reiseziels, der Insel Usedom, betraf war das aber noch harmlos. Im dortigen Wahlkreis wurde die AFD stärkste Partei und das Direktmandat ging ebenfalls an den Kandidaten der AFD. – Tagsdrauf schwirrte schon die Frage durch die Luft, ob man denn nun auf der “braunen” Insel mit gutem Gewissen Urlaub machen könne. – Wir erwischten uns selber beim Zweifel, gefahren sind wir, wie Viele, dann doch, da man den kompletten Reisepreis für die Ferienwohnung schon bezahlt hat. Usedom im Herbst 2016 mit Antworten auf unsere Fragen von UTG-Chefin Dörte Hausmann.
Die Saison 2016 lief gut
Ja, die Insel ist schön. Die Urlaubsinfrastruktur stimmt. Das Meer ist klasse. Das im Achterland findbare Naturparadies einmalig. Usedom hat zudem in diesem Jahr vom noch stärker gewordenen Trend zum Urlaub im eigenen Land profitiert. Heile Welt für glückliche Urlauber? Selten habe ich so viele aktive Menschen gesehen: beim Strandlauf, beim Wandern und auf dem Fahrrad. Die Hotels sind voll, die Promenaden und Seebrücken gut besucht und die Restaurants bevölkert. Selbst die vielen Strandkörbe wurden dank des guten Wetters eifrig genutzt. Nun muss der Urlauber im Jahr 16 auf Usedom auch tiefer in die Tasche greifen. Klar die Nachfrage bestimmt den Preis. Aber an manchen Stellen ist es dann doch recht happig. Kleine Hotels, die vor zwei Jahren in der Hochsaison 90 Euro fürs Doppelzimmer verlangten, rufen in diesem Jahr in der Nachsaison 150 Euro für die gleiche Leistung auf. Lassen wir‘s gut sein. In Spanien haben sich die Hoteliers den Sommerboom dieses Jahr auch vergolden lassen. Die Gesetze des Markts funktionieren. Die Gäste sind fröhlich.
Braun nicht nur im Strandkorb?
Die Sonne scheint und man wird schön braun. – Im Strandkorb holt uns das Wahlergebnis wieder ein. Die Welt scheint doch schön und in Ordnung und die 35 Flüchtlinge im Wahlkreis können nicht schuld sein an den 32 Prozent AFD. Sind sie auch nicht, sagt Dörte Hausmann. Die Menschen in Vorpommern und insbesondere auf Usedom fühlen sich abgehängt. Da war die Schließung des Amtsgerichts, die Schließung der Kinderstation im Krankenhaus in Wolgast. Dagegen protestierten rund zwei Drittel der Usedomer Bevölkerung vergeblich. Da ist die hinterher hinkende Infrastruktur. Schnelles Internet über weite Strecken Fehlanzeige. Das veranlasste unter anderem sogar die Tourismusgesellschaft zum Umzug. Netzoffensive auf Usedom? Fehlanzeige. Lokale Probleme, lokaler Protest. Erklärt das die Wahlergebnisse? Im Usedomer Wahlkreis kam die AFD auf über 32 Prozent der Stimmen, die NPD auf 5,6 Prozent und das Direktmandat ging mit 35 Prozent ebenfalls an den Kandidaten der AFD.
Die Insel und die Politik zum Nachhören:
Unseelige Historie
Auch in der Geschichte des Usedom-Tourismus gibt’s seltsame Flecken. Viele der prachtvollen Villen der Kaiserbäder gehörten einst jüdischen Geschäftsleuten. Aber “Berlins Badewanne” war auch damals sehr mit vorauseilendem Gehorsam beschäftigt, als bereits 1937 die Seebäder Bansin und Ahlbeck in die Reichshauptstadt meldeten, sie seien inzwischen judenfrei. Mag sein, dass das Alles Zufall ist, aber ins Bild passt die Historie schon. Wir glauben vielen aufrechten Menschen und Touristikern auf der Insel, dass sie nicht ins gleiche politische Horn stoßen.
Manch Schreckgespenst löst sich auch in Marginalien auf. Das Wahlergebnis von Peenemünde zum Beispiel. Hier witterten Eifrige bei rund 47% AFD plus 5 Prozent NPD eine breite rechte Front. Bei 260 Einwohnern und einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent relativieren sich 47% AFD- und 5% NPD-Stimmen. Über das dortige Wahlergebnis ist man unter den Touristikern trotzdem erschrocken. Entspricht es doch nicht den sonstigen weltoffenen Initiativen des Örtchens zur Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit in vielen internationalen Workshops. Nichts desto trotz. Die Zahlen stehen im Raum und das Image ist lädiert. – Dass es auch anders geht hat Patrick Dahlemann, der der Direktkandidat der SPD im unmittelbar benachbarten Wahlkreis Vorpommern-Greifswald IV, bewiesen. Sein Credo, “Du musst den Leuten zuhören und Dich für sie einsetzen”, brachte ihm nicht nur das Mandat, sondern auch 31 Prozent der Stimmen. Doch Alles nur Protest? – Fast möchte man’s glauben.
Perspektiven und Probleme
Die Welt dreht sich weiter. Die Tourismuswelt von Usedom wird sich weiter drehen müssen, denn die Wirtschaft und die Jobs der Insel hängen an ihrem Tropf. 85 Prozent aller Beschäftigten haben direkt oder indirekt mit dem Tourismus zu tun. Dessen Entwicklung ist auch nicht immer problemfrei. Wer zur Hochsaison die Insel wahlweise erreichen oder auch verlassen will, muss an Wochenende eineinhalb Stunden für eine Strecke rechnen, die sich normalerweise in 30 Minuten erledigen lässt. Der Verkehrsinfarkt droht. – Am Strand stapeln sich die Menschen, im Achterland kommt der wirtschaftliche Aufschwung kaum noch an. Naturschützer werden sagen: Gut so. Der Gastwirt oder Pensionsbesitzer im äußersten “Lieper Winkel” wird es vermutlich anders einschätzen.
Verantwortung in Sachen Sozialstruktur und Umwelt.
Hier unternimmt die UTG allerdings sehr viel, um Usedom auch während des Winters als attraktiv und besuchenswert zu präsentieren.Die Erfolgsbilanz kann sich sehen lassen. Immerhin macht die Nebensaison inzwischen ein Drittel des Gesamtumsatzes aus. Abseits der großen Ströme kommt dann gerade das Achterland, also die Landschaft hinter den Seebädern zur Geltung und das ist gut so.
Usedom. Eine Trauminsel – aktuell leider mit einem gehörigen Imageproblem. Man möchte der Insel wünschen, dass sie die Kurve kriegt, denn sie ist wunderschön. Und man möchte hoffen, dass die Wahl nur reiner Protest, jenseits von rechter Gesinnung, war. Die neue Landesregierung hat das, zumindest teilweise, in der Hand. Tourismus und Politik. Ein Thema, das uns gerade in diesem Jahr heftig einholt. Hier gilt es auch für Veranstalter und Touristiker eine Menge aufzuarbeiten. Klare und ehrliche Bekenntnisse aus der Branche sind gefordert. Wer das versäumt, hat‘s nicht besser verdient.
Information:
Fotos:
Petra Hartmann & Rüdiger Edelmann, ttb-media TON-TEXT-BILD
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