In der Business-Class über den Atlantik. Hört sich gut an. Zum alljährlichen großen Reise-Pow Wow der „US Travel Association“ bieten einige amerikanische Airlines den Teilnehmern Sonderpreise an. So kommt man für wesentlich weniger Geld in den Genuss eines „C-Class“-Tickets, das normalerweise mit ungefähr 3.000 Euro zu Buche schlägt. Gefreut, gebucht. Frankfurt – Washington (FRA-IAD) und zurück Newark – Frankfurt (EWR-FRA). Die Vorfreude auf viel Platz, exklusiven Service und ruhigen Schlaf ist groß, mein Flug bei United Airlines gebucht. Seit letztem Sommer ist dort die sogenannte „New Polaris Business“ in der Werbung.
Die Sitze
Mit dem „New“ ist es allerdings noch nicht so weit her, denn das, was den wichtigsten Teil der neuen Businessklasse ausmacht, fehlt noch: Die neuen Sitze, die eine neue Dimension des Schlafens an Bord ermöglichen sollen. Sie fehlen, weil der Sitzhersteller „Zodiac“ seit Monaten nicht in der Lage ist, die Bestellungen pünktlich auszuführen. Trotzdem versucht man mit vollmundigem Marketing, den Begriff „New Polaris“ durchzusetzen. Zwischen den Bestuhlungen der alten und der neuen „Business“ liegen tatsächlich Welten. Das beginnt mit der relativen Enge in der Kabine der Boeing 777-200, die auf mich am Fraport-Gate Z22 wartet. Die Sitzkonfiguration der bisherigen Klasse weist 8 Sitze pro Reihe (2-4-2) aus. Die neue Polaris-Business Anordnung bietet 4 Sitze pro Reihe (1-2-1) an. Ein weiterer Kommentar ist überflüssig.
Nichtsdestotrotz: In der Länge ist Alles bestens. Beinfreiheit steht reichlich zur Verfügung und im Schlafmodus bietet auch der alte Businesssitz eine ausreichende Länge von 1 Meter 90 im Schlafmodus. Nur die Sache mit der Sitzbreite ist so eine Sache. Dank des Versuchs bereits die „New Polaris Amenity-Kits“, die neuen Schlafdecken von „Saks-Off 5th Avenue“, die alten Schlafdecken, plus zusätzlich zu den Strümpfen auch noch weiche Pantoffeln und die durchaus guten Kopfhörer anzubieten, ist der reservierte Platz, beim Betreten der Kabine bereits überfüllt. Wer sitzen will, muss das wegräumen. Aber wohin? Auf den Boden? In den Gang? Beides kaum möglich. Der Sitz in der Vierreihe neben mir bleibt beim Hinflug leer. So wird dieser zur Ablagefläche. Glück gehabt. Ich fliege vorwärts. Die Hälfte der Sitzreihen ist rückwärts ausgerichtet. Auf diese Erfahrung darf ich bei Hin- und Rückflug verzichten. Nochmal Glück gehabt.
Der Service
Man ist amerikanisch unterwegs. Das kann Unterschiedliches bedeuten. Positiv (wer’s mag): Die angenehm unprätentiöse Atmosphäre. Es geht locker zu. Negativ: Mitunter (je nach Crew) geht es sehr locker zu. Doch der Reihe nach. Der Welcomedrink wird in Plastikbechern serviert. Warum das? Nach dem Abheben gibt es doch auch Glas? Beim Hinflug ist es die Standardauswahl von Champagner (oder auch schon mal Sekt), Orangensaft, die Mischung aus Beidem (nennt man Mimosa) oder Wasser. Beim Rückflug wird Alles serviert. Mein Sitznachbar schlägt gleich mal mit einem „Wodka on Ice“ zu, ebenfalls im Plastikbecher. – Nach dem Start gibt es das obligatorische Porzellanschälchen mit warmen! Nüssen. Die deutsche Konkurrenz bietet nur noch abgepackte „Nüsschen“. Positiv.
Crew 1 (Hinflug) ist fröhlich, aber bewahrt den Stil. Ich werde mit Namen angesprochen, bekomme die Menükarte und werde nach meiner Weinauswahl befragt. Da ich mich nicht sofort zwischen den drei Weißweinen entscheiden kann, erhalte ich einen „Dreierpack“. Kleine Probiergläser mit je einem Testangebot der unterschiedlichen Weine. Das ist angekündigter „New Polaris“-Service. Sehr löblich. Positiv auch, dass die getroffene Wahl danach fest im Kopf der Flugbegleiterin verankert ist. Es folgt die Abfrage des gewünschten Hauptgerichts.
Crew 2 (Rückflug) ist sehr fröhlich, vergisst aber jede Menge. Wein probieren ist Fehlanzeige. Die Auswahl wird übrigens bei jedem Nachgießen erneut abgefragt. Das hindert meine Betreuerin an Bord nicht daran, mir den falschen Wein einzugießen. Obendrauf versteht sich. Die Mischung aus Sauvignon Blanc aus dem Sancerre und einer Chardonnay-Viognier-Cuvée aus Argentinien will nicht so recht munden. Reaktion beim Reklamieren: „Uups, took the wrong bottle“. Kann passieren, wäre aber eine halbe Stunde später wieder geschehen, wenn ich nicht laut STOP gerufen hätte. Der Hauptgerichtswunsch wird aufgenommen, allerdings bereits 5 Minuten später revidiert: Ist nicht mehr da, darf es was Anderes sein? Ich bestelle neu und bekomme zur Belohnung ein Reklamationsformular. Mit der aufgedruckten Nummer soll ich mich online beim „Inflightresponse“ melden. Hab ich gemacht und bis dato eine freundliche schriftliche Entschuldigung bekommen. Mein Tischdeckchen habe ich, samt leerer Kaffeetasse, 10 Minuten nachdem das Licht gelöscht worden war, dann selber in die Galley getragen und abgestellt. Dies ist nicht wirklich schlimm, aber das meine ich mit locker und sehr locker.
Die Mahlzeiten
Die Innovationen der „Polaris-Class“ lassen sich aktuell wohl am besten anhand der Gerichte an Bord überprüfen. Ein üppiges Vorspeisenangebot, gefolgt von fünf Hauptgerichten nach Wahl, gefolgt von Käseteller und Eiscreme. Die geröstete Hähnchenbrust auf Koriander-Chili-Sauce ist zart und gut gewürzt, das dazu gereichte Zitronenrisotto extrem lecker. Da das Pastagericht (Rückflug) aus war, begehe ich einen subjektiven Fehlgriff mit dem asiatischen Nudelsalat. Anderen hat es bestimmt geschmeckt. Warum man die Eiscreme im Pappbecher serviert bekommt, wissen leider nur die United-Götter. Toppings? Fehlanzeige.
Generell macht man hier aber ein sehr schmackhaftes Angebot von hoher Qualität. Hier ist die Airline auf dem absolut richtigen Weg. Die zweite Mahlzeit bietet Salat oder Käseteller, bzw. das Frühstück nach dem Nachtflug. Hier bewegt man sich auf amerikanischem Standard bei der Wahl zwischen Omelette und Würstchen oder Früchten mit Joghurt. Man könnte auch sagen, dass es sich um kleines oder großes Frühstück handelt, denn zum Omelette werden selbstredend Früchte, Joghurt und ein Croissant gereicht.
Schnickschnack
Es ist Beiwerk, aber ein gutes. Das vorhandene dicke Kissen stützt prima den Rücken, die neue bezogene Schlafdecke ist leicht und trotzdem kuschelig warm. Die Pantoffeln wurden nur auf dem Hinflug gesehen, das gesonderte und kühlende Gelkissen für besseren Schlaf gar nicht. Aber wo hätte man es auch noch hintun sollen. – Das Amenity-Kit lässt absolut nichts zu wünschen übrig: Socken, Zahnpasta und –bürste, Haargel-Spray, Handcreme, Feuchtigkeitscreme, Kamm, Augenmaske, Taschentücher, Pfefferminz. Alles da, hochwertig und ansprechend verpackt. Bliebe zuletzt noch das Entertainmentpaket. Die Kopfhörer sind gut, aber nur bedingt in die Kategorie „Noise-Reduction“ einzuordnen. Hier in die Kategorie Bose einzusteigen, wäre ein echtes Plus. Die Bildschirme sind groß und klar, das Angebot an Filmen und Fernsehserien ausreichend. Auf beiden Flügen hat bei mir die Musikauswahl im Audioprogramm gefehlt. Darauf hätte ich gern zurückgegriffen. Die angebotenen Podcasts kommen ausschließlich Englisch daher. Vielleicht sollte sich United mal in der deutschen Szene umhören. Wir liefern gerne auch das Deutsche Reiseradio mit den USA-Themen zu 😉
Fazit
Das Polaris-Erlebnis liefert aktuell nur einen Bruchteil des Versprochenen. Wenn aber die Bilder der Sitze das einlösen, was sie versprechen, dann kann das ein angenehmes Flugerlebnis werden. Selbstredend ist dieses Angebot nicht mit dem Luxus arabischer und asiatischer Airlines vergleichbar, aber Hand aufs Herz: Benötigt man das, so schön, wie es sein mag? Mir reichen angenehmes Sitzen, gutes Schlafen, schmackhafte Mahlzeiten und in allererster Linie mehr Platz. Wenn der Sitz stimmt, lässt sich der Rest der aufgefallenen Kleinigkeiten mühelos ertragen; verbessern wäre natürlich das Optimum. Aber ist man nicht mit einer amerikanischen Airline unterwegs?
Gemunkel am Rande
Gerne hätte ich hierzu auch Töne geliefert. Aber: No Interviews heißt die Devise bei United, wenn man spontan Antworten haben möchte. Begründung: Company Policy! – Wenn das so ist, dann ist das so.
Immerhin aus dem inoffiziellen Talk war zumindest herauszuhören, dass United aktuell leider selber nicht weiß, wann denn nun die Polaris-Klasse flächendeckend angeboten werden kann. Beantworten kann das wohl nur Zodiac als Sitzhersteller. Das ist schlecht, aber nicht zu ändern, denn nachträglich einen anderen Partner suchen, geht wohl in diesem Stadium nicht mehr.
Weiteres Gemunkel: Auch bei United denkt man über eine echte Premium Economy nach. Unser Kommentar: Wird auch Zeit. Das bisherige “Eco+”-Angebot bot lediglich etwas mehr Sitzabstand. Die angebotenen 86 Zentimeter bewegen sich allerdings auf dem Niveau, das Konkurrenten als das normale Maß der Dinge anbieten. Siehe Lufthansas “Premium Economy”: Hier gibt es einen Sitzabstand zwischen 94 und 96 Zentimetern. Beim normalen Sitzabstand kommt man bei UA gerade mal auf 79 Zentimeter. Das ist, mit Verlaub, auf der Langstrecke verdammt eng.
Anmerkung: Mein Flug mit United Airlines war preisreduziert. Diese Vergünstigung hat aber keinen Einfluss auf meine Berichterstattung.
Information: www.united.com
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