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Lebenslinien kennt man. Sie werden gerne nachgezeichnet. Das Schaffen hat aber immer auch mit dem Lebensumfeld und mit den Lebenslandschaften zu tun.
Die Lebenslandschaft des Ingmar Bergman
Bei einem Filmregisseur mögen Bilder und Landschaften erst recht eine wichtige Rolle spielen. Schwedens wohl bekanntester Filmregisseur zählt zweifelsfrei zu den Menschen, die ohne ihre Lebenslandschaften nicht vorstellbar sind.
Das merkt man spätestens beim Besuch des Orts, an dem er vier seiner erfolgreichsten Filme gedreht hat, ein Haus kaufte und das letzte Viertel seines Lebens verbrachte. Wir machen einen Besuch auf Fårö, einem Inselchen an der Nordspitze von Schwedens größter Ostseeinsel Gotland um dem Geheimnis von Ingmar Bergmans Lebenslandschaft auf die Spur zu kommen.
Bergmans Weg nach Fårö
Bis 1960 kannte Bergmann Fårö nicht. Die Suche nach einem Drehort für seinen Film „Wie in einem Spiegel“ führte ihn auf die Insel. Aus Finanzgründen war sein ausgewählter Drehort, die „Orkney-Islands“ vor Schottland abgeschmettert worden. Ganz Schweden war er von oben abgeflogen.
Erst nach einem Tipp kam er auf das Nachbarinselchen an der Nord-Ost-Spitze Gotlands. Wer Fotos der „Orkneys“ kennt, wird feststellen: Fårö ist da ganz dicht dran.
Er drehte dort und verliebte sich regelrecht in dieses Eiland, trotz oder gerade wegen seiner kargen und einsamen Landschaft. Er genoss es dort zu arbeiten, weil er ungestört war. Selbst als viele Jahre später bekannt wurde, dass er dort ein Haus besaß und Bergman-Fans nach Fårö pilgerten, war er auf der sicheren Seite. Er konnte sich auf „seine“ Mitbewohner verlassen, die Besucher gezielt in die falsche Richtung schickten.
Langsame Veränderung
Fårö ist das einsamere Anhängsel von Gotland und auch sonst gibt es markante Unterschiede. Gotland ist etwas Besonderes und Gotland ist die Sommerinsel vieler Schweden. Hier verbringt man seine Ferien: An den Stränden, im eigenen Sommerhaus und natürlich auch in der mittelalterlichen Hauptstadt Visby. Gotland ist der Traum Vieler, insbesondere der Stockholmer. „Midsomer“ in Gotland – was gibt es Schöneres. Dementsprechend ist in der Hauptsaison von Mitte Juni bis Ende August dort ziemlich viel los. Auf Gotland scheint die Sonne, statistisch, besonders lang und intensiv, genauso wie auf einem Anhängsel im äußersten Nordosten: Der Insel Fårö.
Wer gerne mal alleine sein möchte, kann in dieser Zeit nach Fårö aufbrechen. Nicht dass hier im Sommer „der Hund begraben wäre“, aber die Chancen bestehen, abgesehen vom „Sudersands Resort“ nordöstlich vom Hauptort Fårö, ziemlich gut.
Bergman der Regisseur, Filmemacher und Autor
Die, die ihn kannten sind sich einig. Ingmar Bergman war ein Workaholic. Es gab vermutlich keinen Tag, an dem er nicht irgendwas und irgendwie arbeitete. Fårö sorgte dafür, dass er zumindest zwischenzeitlich etwas „runterkam“.
Wenn er allerdings auf seiner Insel Filme drehte, dann war von Ruhe nicht mehr die Rede. Und er drehte viel auf Fårö. Alleine vier bedeutende Spielfilme sind hier entstanden:
Wie in einem Spiegel (1961)
Persona (1966)
Schande (1968)
Szenen einer Ehe (1973)
„Lek Lust och Ljus“ – Licht, Lust und Spiel
So haben die Kurator:innen des Bergman-Centers ihre Ausstellung über Ingmar Bergman genannt: Im Englischen “Let there be Light, Fun and Play” oder profan Deutsch “Es sei Licht, Spaß und Spiel”.
Damit räumt der Ausstellungstitel fast alle Vorurteile über Ingmar auf die Seite. Bekannt ist er eher als der dunkle Regisseur, mit Werken, die von Angst und persönlichen Dämonen geprägt sind.
Diese Ausstellung ist ein Muss, wenn man dem großen Filmkünstler näherkommen möchte.
Mit Leiterin Cristina Jardim Ribeiro war ich hier eindeutig im Vorteil. Sie berichtet im Podcast über so ziemlich alle Aspekte seines Filmschaffens und Lebens auf Fårö, von der ersten Begegnung mit seiner Schicksalsinsel bis zu seinem Tod im Jahr 2007.
Hören und Sehen
Wer taucht mit ein in unser Gespräch und meine Stimmungen während dieses außergewöhnlichen Tags auf Fårö? – Das ist eine herzliche Einladung. Optisch untermalt oder auch ausgestaltet wird die Begegnung mit dem Star des schwedischen Kinos mit vielen Fotos, die ich während des Tages auf der Insel machen konnte. Und ganz im Ernst: Die Bergman-Spielfilme nach dem Besuch seiner letzten Heimat (noch einmal) anzusehen, macht Sinn. Irgendwie hab ich jetzt eine ganze Menge mehr verstanden.
Persona
An einem Film möchte ich das gerne erklären. Persona ist das Kammerspiel über die psychische Interaktion zweier Frauen, Patientin und Krankenschwester, während eines Sommerurlaubs am steinigen Strand von Fårö.
Der Film hinterlässt auf der einen Seite tiefe Ratlosigkeit und auf der anderen fängt er die Zuschauenden mit wachsender Spannung ein. Was sicher auch an der grandios-einsamen Szenerie liegt. Lange Bilder, langsame Schnitte. Ein Bachsches Violinkonzert wechselt mit fast unerträglicher Stille in einer Landschaft aus Wasser, Kiesel, Treibholz und in die Höhe ragender Felsen. Diese – Raukar genannt – sind typisch für Gotland und insbesondere Fårö. (Im Podcast gibt’s auch die geologische Erklärung.)
Feelings
Ja, hier ganz allein am Rand des Kiesel- und Steinstrands zu sitzen, dem Wellenplätschern zuzuhören, ist ein besonderes Erlebnis. Man spürt gewissermaßen die Sommerhitze des Films, das Schwirren der Luft, selbst wenn die Temperatur am Besuchstag nur knapp an den 15 Grad kratzt.
Der „jetzt erst recht“-Ausflug zu Ingmar Bergmans Privathaus war eher enttäuschend. Gefunden hab ich’s aber…
…welche Enttäuschung, vor dem Zaun zu stehen. Privat. Sein Haus gehört heute einer Stiftung, zu der Lynn Ullman (Tochter von Liv Ullman) und eine von Bergmans neun Kindern den Anstoß gab. (Höre: Podcast)
Bergmans Scheunenkino liegt weiter südlich. Da regnete es gerade heftig, deshalb gibt es kein Foto.
Und dann, wieder nach Norden an die Langhammars-Küste, ist es grau und frisch. Der Strand ist gesäumt von den Raukar-Felsen. Der Himmel passt zum leicht fröstelnden Gefühl bei der Erinnerung an sein Kriegs- und Psychodrama „Schande“ (Skammen).
Der Fårösund wartet aber, auf mich und mein Mietauto. Auf dem Rückweg noch ein kurzer Stopp an Kirche und Friedhof zum letztlich persönlichsten „Vermächtnis“, dem Grab von Ingrid und Ingmar. Bescheiden, wie er lebte, ist er bestattet, dort wo er seine persönliche Heimat fand.
Der Wind weht sanft über den Friedhof. Der Blick ist frei aufs Meer und die Insel hat sich scheinbar nur wenig verändert, seit seinem Tod vor ziemlich genau 15 Jahren.
Der Tag geht dem Ende entgegen und ich finde mich wieder auf der öffentlichen Autofähre über den Fårösund. In gut 5 Minuten geht es zurück in die „Quasi-Normalität” von Gotland.
Information:
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